Manchmal gelingt es mir, die Schwere der Situation durch meinen jüdischen Humor zu erleichtern. Aber es fällt mir immer schwerer, nicht verzweifelt zu sein.
So viele der von der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppten Geiseln werden noch immer im Gazastreifen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Wer weiß, wie viele überhaupt noch leben? Wer weiß, wie viele noch lebend nach Hause kommen werden? Wer weiß, in welchem Zustand sie sein werden? Wie sollen sie weiterleben, das Erlebte je bewältigen können?
Einige wenige sind in den letzten Tagen freigekommen. Der Preis? – So hoch. Unter anderem bedeutete ihre Freiheit den Austausch gegen Hunderte palästinensische Häftlinge, unter ihnen zahlreiche verurteilte Mörder und überzeugte Dschihadisten, die sich nicht geändert haben und in ihrer neu gewonnenen Freiheit wieder Israelis ermorden werden wollen.
Bilder wie aus dem KZ
Die drei zuletzt freigelassenen Männer, wie auch jene zuvor, mussten sich mit beispiellos obszönen, öffentlichen Inszenierungen der Hamas noch einer letzten Demütigung stellen. Man zerrte sie auf eine Bühne, verlangte von ihnen, sich öffentlich bei der Hamas für ihre Tortur auch noch zu bedanken und bejubelte den Triumph der Hamas.
Man muss kein Jude sein, um bei den Bildern dieser drei abgemagerten Männer an ähnliche nach der Befreiung der Häftlinge aus den Nazi-KZ zu denken. Wer, in dessen Brust ein Herz schlägt, kann es über sich bringen, diese entwürdigenden Schauspiele auch noch zum Anlass für Triumph zu nehmen?
Einer der drei ausgemergelten Männer ist Eli Sharabi. Kurz vor seiner Freilassung – nach 491 Tagen in der Gefangenschaft der Hamas – wird er in einem inszenierten Propaganda-Interview vor der Kamera befragt. Mit gedämpfter Stimme, jedoch einem Hoffnungsschimmer im Blick, äußert er seine Freude darüber, seine Frau und Töchter wiederzusehen. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass seine »Interviewer« den Tod seiner gesamten Familie am 7. Oktober 2023 zu verantworten haben. Auch Or Levi weiß, nachdem seine Gefangenschaft endlich endet, noch nicht, dass seine Frau diesen Tag nicht überlebt hat.
Einzelfälle? Nein. Alle Geiseln haben bereits Unbeschreibliches erlitten und werden, so sie es überlebt haben und vielleicht noch überleben werden, noch lange darunter leiden. Was man ihren Körpern und Seelen angetan hat, geht weit über das hinaus, was man klinisch steril und schulterzuckend als »eben der Nahostkonflikt« verharmlosen darf.
Unerträgliche Unmenschlichkeit
Die strategischen Inszenierungen der Hamas, die zu Verschleppung, Folter, Mord auch noch Hohn und Schadenfreude hinzufügen, sind unerträglich in ihrer Unmenschlichkeit. Und wie reagiert die Weltgemeinschaft, wenn sie all das live und in Farbe sieht? – Weitgehend schweigend und gleichgültig. Habe ich die Proteste der Frauenorganisationen gegen Blutrausch und Vergewaltigungen der Hamas übersehen? – Ich denke nicht. Gab es zumindest jetzt einen internationalen Aufschrei gegen diese kranke, bösartige Verhöhnung von Opfern? – Kaum.
Bestenfalls konnte man einige verkrampfte, pflichtschuldige Meldungen in Mainstream-Medien lesen, dass die Hamas vor der Übergabe an das Rote Kreuz die Geiseln zur Schau gestellt habe. Tatsächlich waren die Inszenierungen so widerlich, dass man sie nicht einmal übersehen konnte, wenn man weitgehend auf beiden Augen blind ist, was die Barbarei der Hamas betrifft.
Sogar das Rote Kreuz hat, ausnahms- und zumindest andeutungsweise, ein wenig Stellung bezogen und eine kurze Pressemeldung veröffentlicht, in der es sich gegen das demütigende Vorführen der Geiseln aussprach. Nachdem es ja selbst daran mitgewirkt hatte, musste es wenigstens ein bisschen protestieren, weil es sonst vielleicht doch zu peinlich gewesen wäre.
Die Organisation, die sich der Verhinderung menschlichen Leids verpflichtet hat, verhielt sich schon während der Shoah in entscheidenden Momenten bemerkenswert zurückhaltend, ungeachtet eindeutiger Hinweise auf die systematische Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden durch das NS-Regime.
Unerträgliche Trauer
Wo die Grenze zwischen Neutralität, diplomatischem Pragmatismus und Feigheit, zwischen Opportunismus und Gleichgültigkeit verläuft, muss wohl jeder für sich bewerten. Aber ganz objektiv, selbst, wenn ich meine persönliche Geschichte, meinen Schmerz, meine Wut und meine Verzweiflung beiseite zu schieben versuche: Gaza muss deradikalisiert werden, wie Deutschland und Österreich nach 1945 entnazifiziert wurden.
Das wird dauern, und zwar über Generationen hinweg. So, wie es auch in Deutschland und Österreich Generationen gedauert hat, bis Volksvertreter die richtigen Worte und die richtige Haltung empfunden und gefunden haben und zumindest einem Teil der Bevölkerung ein Vorbild wurden. Für eine Weile. Bis wieder einer »Volkskanzler« werden wollte. Bis wieder eine Mörderbande sich »Freiheitskämpfer« nennen will und wieder gefolterte Opfer auf eine Bühne zerrt und das Volk dazu blutrünstig jubelt.
Meine Redaktion sagt mir immer, ich solle sachlich bleiben. Ich sehe das ein. Manchmal gelingt es mir sogar, das Schwere mit Humor zu erleichtern, wie es die Tradition meines Volkes ist. Aber es fällt mir immer schwerer, nicht verzweifelt zu sein.
Dies ist ein Auszug aus unserem Newsletter vom 12. Februar. Wenn Sie den nächsten Newsletter erhalten möchten, melden Sie sich an!
Gaza must be deradicalized like Germany was denazified.
This society is sick. pic.twitter.com/z2OWGBuCLX
— Eylon Levy (@EylonALevy) February 8, 2025