Als Sohn von Holocaust-Überlebenden hätte ich nie gedacht, dass meine Eltern recht damit behalten würden, dass es immer wieder passieren könnte und werde.
Jeder von uns erinnert sich daran, wo er sich bei bestimmten einschneidenden Ereignissen der Weltgeschichte, die völlig überraschend und unwahrscheinlich waren, gerade aufgehalten hat. Je nach Generation waren das die Kuba-Schweinebucht-Krise, die Ermordung von JFK oder 9/11.
Obwohl ich immer dachte, informiert zu sein und aus meiner persönlichen Familiengeschichte heraus stets auf der Hut bin, kam der 7. Oktober 2023 sogar für mich völlig überraschend. Der Tag war und ist, für mein bisheriges Leben, ein völlig unerwarteter Albtraum: Mörderbanden fielen in Israel bei einem Musikfest und in Kibbuzim ein und ermordeten, vergewaltigten, köpften, verbrannten und verschleppten mehr als tausend friedliche Menschen, und zwar vom Säugling bis zum Greis. Und man kann es gar nicht fassen, dass dieses Abschlachten sogar gefilmt und im Internet voller Stolz verbreitet wurde.
Von den verschleppten Geiseln, sofern sie noch leben, befinden sich immer noch mehr als hundert irgendwo in den Tunneln der Hamas. Wie Zeugen, die entkamen, eidesstattlich beglaubigt berichteten, werden sie noch immer gefoltert, vergewaltigt und ermordet.
Fassunglos erstarrt
Was mich aber beinahe noch mehr fassungslos erstarren ließ, waren die Feste auf den Straßen, die fast zeitgleich erfolgten, die Freude und der Jubel. Nicht nur die Täter, sondern auch Hunderttausende ihrer Anhänger auf der ganzen Welt tanzten voller Freude, verteilten Süßigkeiten und feierten ausgelassen. Sie solidarisierten sich mit diesen Gräueln und tun es bis heute.
Man kann sich über die Niederlage seiner Feinde freuen, das könnte ich nachvollziehen. Aber wie können Massenvergewaltigungen und Exekutionen, Folter und Mord, solch euphorische Freudengefühle auslösen? Sogar die SS hat sich vor und nach ihren Verbrechen zumindest zuweilen besoffen, um mit ihren Unmenschlichkeiten besser fertig zu werden.
Als Sohn von Holocaust-Überlebenden habe ich mich ein Leben lang mit ihrer Geschichte befasst und war trotzdem der Meinung, dass meine und die Generationen nach mir nie so etwas erleben müssten. Ich hätte nie gedacht, dass meine traumatisierten Eltern recht behalten würden, die sagten, dass es immer wieder passieren könnte und werde. In allen Facetten.
Zum Beispiel: Während der Nazi-Zeit hatte das Rote Kreuz KZ inspiziert und nichts bemerkt. Heute bekommt es erst gar keinen Zugang zu den Geiseln. Ganz im Geiste der UNO gibt es nicht einmal internationalen Druck, Besuche von Geiseln zu ermöglichen. Es wird vor lauter »Neutralität« nicht einmal auch nur erwähnt, dass es vielleicht auch den Geiseln an medizinischer Versorgung fehlen könnte. Weil es nur Juden sind?
Der einzige Unterschied zum Trauma, das die Generation meiner Eltern überrollte, ist, dass es heute Israel gibt, dass wir uns heute wehren können und es tun: Wie es der aktuelle israelische UN-Botschafter Danny Danon formuliert hat: »Jewish blood is not cheap.« Jüdisches Blut ist nicht (mehr) billig!