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Alltagsgeschichten
NU - Ausgabe Nr. 20 (2/2005)
von Erwin Javor
Fritz Grünbaum, der geniale Kabarettist, Kunstsammler und Textdichter - er wurde von den Nazis in Dachau 1941 brutal ermordet -, wurde einmal gefragt, was er denn von den Charaktereigenschaften seines berühmten Bühnenpartners Karl Farkas halten würde. Er antwortete: Der Farkas? Hut auf!
17. Mai 2005. 22 Uhr. ZIB 2. Armin Wolf interviewt Ariel Muzicant über die Ergebnisse einer neuen internationalen Untersuchung. Dieser zufolge hat Österreich im Länder-Vergleich mit Abstand den geringsten Prozentsatz an Bürgern, die Juden sympathisch finden. Nämlich nur 18 Prozent. Wie wird nun Dr. Muzicant auf diese traurigen Erkenntnisse reagieren? In der Vergangenheit hatten seine einseitigen Statements ja nicht immer die Meinung der meisten IKG-Mitglieder repräsentiert.
Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. Er antwortete klug und relativierte auf eine sympathische Art die Ergebnisse dieser Studie. Er kritisierte unter anderem einerseits die Aussagen von Kampl und Gudenus, andererseits betonte er aber auch, dass sich sämtliche im Parlament vertretene Parteien von diesen Aussagen distanziert und Konsequenzen angekündigt hatten. Was war geschehen? Hatte unser Präsident im Angesicht von Herrn Wolf etwa Kreide gefressen oder in der Zwischenzeit gar professionelle Beratung in Anspruch genommen?
Eine derartige Wandlungsfähigkeit hatte ich Dr. Muzicant nicht zugetraut. Auf die Frage „Ist Österreich antisemitischer als andere Länder?“ antwortete er richtig, aber unerwartet: „Die Situation in Österreich hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert“ und … wir haben antisemitische Vorfälle, aber sie sind in keinem Vergleich zu dem, was sich in anderen Ländern abspielt.“ Den Grund für den offensichtlichen Sinneswandel unseres Präsidenten konnte man jedoch schon zwei Tage später besser verstehen. Die Republik hatte sich mit der Kultusgemeinde nach einem jahrelangen Kampf geeinigt.
Die Gemeinde erhält 18,2 Millionen Euro und verpflichtet sich als Gegenleistung alle über 700 Anträge beim Allgemeinen Entschädigungsfonds zurückzuziehen und die Sammelklagen in den USA nicht weiter zu unterstützen. Denn bekanntlich ist das 2001 beschlossene Washingtoner Abkommen für Opfer von NS-Raub bis heute nicht umgesetzt. Das Haupthindernis für die Auszahlung an die betagten Opfer ist die fehlende Rechtssicherheit.
Dieses Argument wurde auch immer wieder genüsslich von Vertretern der Bundesregierung als Grund dafür angeführt, dass bereits bereitgestellte Gelder nicht fließen konnten. Nicht erwähnt wurde, dass die komplizierte Bearbeitung der fast 20.000 Anträge Jahre in Anspruch nehmen würde. Der vollmundigen Aussage des Nationalratspräsidenten Khol, dass Anfang 2006 mit Auszahlungen begonnen werden kann, sollte man als gelernter Österreicher daher schlicht und ergreifend misstrauen.
Das Hinauszögern von Entschädigungszahlungen hat ja in Österreich bekanntlich Tradition und Tradition wird hierzulande gerne hochgehalten. Das Leugnen und Durchlavieren in dieser Frage ist seit Jahrzehnten Volkssport und der österreichischen Bevölkerung wird bewusst etwas vorgegaukelt. Je öfter so genannte Verhandlungserfolge, die aber nie exekutiert werden, in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, umso mehr verfestigt sich das Vorurteil gegenüber den scheinbar „Unersättlichen“. Und so wird man in bewährter Art und Weise „die Sache so lange in die Länge ziehen“, bis das letzte Opfer der Shoa nicht mehr am Leben sein wird. Falls aber meine Prognose nicht zutreffen sollte - was ich inständig hoffe - dann: „Hut ab, Dr. Muzicant“.