NU - Kommentare
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Neue Moscheen braucht das Land
NU - Ausgabe Nr. 42 (4/2010)
Von Erwin Javor
Unser Präsident, der Ari, hat Ezzes für die Muslime. Ich auch. Meine sind natürlich besser. Aber der Reihe nach. Ich zitiere gleich einmal meinen Präsidenten mit einem, meiner Meinung nach, ungeheuerlichen Satz: „Wenn es Leute gibt, die sich nicht integrieren lassen wollen, dann haben sie in Österreich nichts verloren.“ Ari hat gemeint, und wurde dafür in breiter Öffentlichkeit in allen Medien viel beachtet, es wäre für „uns“ Juden völlig in Ordnung, wenn Muslime mehr Moscheen bekämen, aber sie sollten sich zurückhalten mit allem, was muslimisch daran ausschaut – sinngemäß. Sie sollten sich der europäischen Gastkultur anpassen, damit sie weniger anecken. „Für Minarette ist im Zeitalter der Handys und des SMS kein Bedarf.“ Gut für die Muslime, dass sie im Gegensatz zu den Juden am Schabbes ja jederzeit telefonieren und SMS-en dürfen.
Davon abgesehen, was er sich da denkt, ist eine der ältesten Ideen darüber, wie sich Menschen in multikulturellen Gesellschaften am besten vertragen könnten, bekannt als die Assimilationsthese. Majorität absorbiert Minorität, und dann ist alles in Ordnung. Wenn man jetzt ein bisschen weiter denkt, frage ich mich, wieso meinem Präsidenten am eigenen jüdischen Beispiel noch nicht aufgefallen ist, dass es so simpel nicht läuft.
Nehmen wir einmal die Juden in Österreich. Da gab und gibt es assimilierte, orthodoxe und alles dazwischen. Aktuell sind es nur noch zirka 7000. Wer kann sich vorstellen, dass es realistisch ist, eine neue Synagoge zu bauen, die allen gefällt? Nicht nur den andersgläubigen Österreichern, weil der Davidstern an der unauffälligen Fassade nur ganz klein wäre, sondern auch allen Juden. „Die“ Juden sind nämlich, wenn ich Ari erinnern darf, ein überaus buntes Konglomerat ganz unterschiedlicher religiöser oder säkularer Orientierungen und unterschiedlichen geografischen Ursprungs: Atheisten, Agnostiker, Reformjuden, Drei-Tages-Juden, Orthodoxe aller, zumindest einem Dutzend, Schattierungen. Das ist nicht nur nicht realistisch, sondern, gottlob, aussichtslos und spricht für Pluralismus, der mir schon einmal gefällt.
Übertragen auf die Muslime, und davon gibt es in Österreich deutlich mehr als 7000, nämlich eine halbe Million: Wie viel wahrscheinlicher ist es bei denen, dass sie sich auf ein einziges Moschee-Konzept mit einem unauffälligen, oder noch besser, keinem Minarett, auf Bethäuser, die „ins Land passen müssen“, einigen, wie es unserem Präsidenten gefiele? Also vielleicht solche, die mit alpinen Holzschindeln gedeckt und mit Herrgottschnitzerei verziert sind?
Davon abgesehen, dass dieses Konzept nicht realistisch ist, es bringt ja auch nichts! Nehmen wir wieder die Juden: Vor 1938 haben über 200.000 Juden in Wien gelebt. Die meisten davon waren nicht nur bestens integriert, ein Teil war sogar bis zur Unkenntlichkeit seiner jüdischen Identität assimiliert. Sie ließen sich taufen, sie wuchsen auf, ohne die jüdischen Traditionen zu kennen, sie waren überzeugte, patriotische Österreicher. Hat es ihnen etwas genutzt, als der Schickelgruber kam? Oder auch vorher unter Lueger? Nicht dass ich wüsste! Waren jüdische Philharmoniker nicht ausreichend integriert? Oder jüdische Rechtsanwälte und Ärzte, Wissenschafter, Universitätsprofessoren? Und nicht zu vergessen, die jüdischen Flickschuster und Schneider, die so gar nicht in das angeblich so bedrohliche „Stürmer“- Judenbild passen? Was geschah mit den berühmten jüdischen Komponisten von typischen Wienerliedern wie das „Fiaker-Lied“, „Das kleine Café in Hernals“ oder „I bin a stiller Zecher“. Sie fanden sich, wie die sogenannten Kaftan-Juden, die sich nicht integrieren wollten, genauso im KZ wieder.
Daher, liebe Musliminnen und Muslime: Ihr braucht weder Muzicants noch meine Ezzes. Weil es wird euch gegen Rassisten und Anti-Andersisten sowieso nichts nützen, egal, was ihr macht. Also entscheidet euch dafür, was euch persönlich am meisten entspricht und steht zu dem, was ihr seid, in all seiner Vielfalt! Das nützt und hilft euch genauso viel und genauso wenig, wie zu tun, was irgendjemand Euch nahelegt.
Rebbe, was weißt du?
NU - Ausgabe Nr. 42 (4/2010)
Von Erwin Javor
Bis jetzt waren Sie im Jiddisch-Kurs für Anfänger. Jetzt sind Sie, glaube ich, langsam reif dafür, über das bloße Vokabelheft hinauszuwachsen und aufzusteigen in die Oberstufe Jiddisch für Fortgeschrittene. Für die Meisterklasse müssen Sie sich dann schon noch etwas mehr anstrengen, aber die kommt irgendwann auch noch. Mit anderen Worten, es geht beim Jiddischen nicht so sehr um die Worte, die Vokabeln, sondern darum, wie sie angewendet werden, um die Denkstrukturen, die dahinterliegen.
Was meine ich damit? Die Essenz des jüdischen Seins ist Ungläubigkeit. Skepsis. Zweifel. Hinterfragen. Denken ist in unserer Kultur nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Das Überleben des Judentums hat von dieser Haltung profitiert und ist wahrscheinlich auch so entstanden. Auf Jiddisch geht das dann zum Beispiel so:
Eines Tages erscheint dem Rebbe ein Malach (ein Engel) und macht ihm ein unwiderstehliches Angebot: „Du hast die Wahl, Reb Shloime. Gott hat dich auf Grund deiner Mitzves auserwählt. (Mitzves sind gute Taten, das haben Sie ja schon gelernt. Wenn Sie sich nicht erinnern, schauen Sie in Ihrem Vokabelheft aus dem Anfängerkurs nach.) Du hast zwei Möglichkeiten, Reb Shloime“, sagt der Malach. „Ich kann dir geben alles Geld der Welt oder alle Weisheit dieser Welt. Was willst du haben?“ – Der Rebbe klärt und klärt (denkt) und entscheidet sich nach langer Überlegung schließlich für die Weisheit.
Amen! Ein gleißender Blitz zischt aus den Wolken, erhellt den Horizont und geleitet den Rebbe durch die dunkle Nacht nach Hause in sein Stibl (Stübchen). Dort bleibt er. Die ganze Nacht. Den ganzen Tag. Noch eine Nacht. Noch einen Tag. Isst nichts. Trinkt nichts. Und kommt und kommt nicht mehr heraus. Die Kehille (Gemeinde) macht sich schon langsam Sorgen. Es hat sich herumgesprochen, dass ein Malach ihrem Rebbe alle Weisheit dieser Welt geschenkt hat und sie sind naturgemäß neugierig. Und jetzt sperrt er sich im Stibl ein? Nach einer Woche kommt der Rebbe endlich wieder heraus, mit Tfillen (Gebetsriemen) und Talles (Gebetsschal), blass, abgemagert, mitgenommen, aber mit verklärtem Blick. – „Nu, Rebbe? Was weißt du jetzt?!“ fragen sie ihn. Reb Shloime gibt von sich einen Sifz (Seufzer) und einen Krächz (Stöhnen) und sagt: „Ich weiß jetzt, dass ich das Geld hätte nehmen sollen!“
Apropos krächz: Sitzen drei Juden im Schwitzbad (Sauna). Krächzt der erste: „Oj!“ – Nach einer Weile krächzt der zweite: „Oj!“ – Darauf unwirsch der dritte: „Wir haben doch vereinbart, nicht über die Kinder zu reden!“
Wie dem auch sei. Wie ich schon sagte, zur Essenz des Jiddischen und somit der jüdischen Kultur gehört der Zweifel am Edlen im Menschen: Ein Galizianer (Jude polnischen Ursprungs) und ein Rumäne (natürlich auch kein Goj) sind Schitwes (Geschäftspartner), die sich, wie es gute Tradition dieser beiden Völker ist, ständig misstrauen und daher belauern. Geht der Galizianer auf Sommerfrische. Schon am ersten Tag ruft ihn aufgeregt der Rumäne an: „Ein Unglück ist geschehen! In der Nacht hat man eingebrochen und das ganze Geld aus der Kassa gestohlen! Wus soll ech tin?“ (Was soll ich tun?) – Darauf gelassen und trocken der Galizianer: „Leg es zirick arajn.“ (Leg das Geld einfach in die Kassa zurück.)
Und? Wie gefällt es Ihnen in der Oberstufe?