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Ich bin ein Zebra
NU - Ausgabe Nr. 49 (3/2012)
Von Erwin Javor
Anlässlich einer Fotoausstellung im Jüdischen Museum habe ich die Geschichte schon einmal erzählt, wie man mich nach „meiner Identität“ gefragt hat. Wenn Sie ein Zebra fragen „Was ist Ihre Identität?“, wird es sagen: „Was solI die dumme Frage? Ich bin ein Zebra! Mein Vater war eins, meine Mutter war eins, meine Großeltern auch, sogar meine Frau ist ein Zebra, also raten Sie einmal, was meine Kinder sind? Ich bin in der Herde groß geworden und kannte nur Zebras. Anfangs waren auch aIle meine Freunde Zebras. Mit der Zeit habe ich auch andere Tiere kennengelernt. Jetzt mag ich nicht mehr zwangsläufig aIle Zebras und manche machen einem das auch nicht schwer. Aber: Wenn ein Löwe kommt, dann bin ich auf der Seite sogar des widerlichsten Zebras und helfe ihm. Weil in diesem großen Safaripark fotografieren alle immer nur uns.“
Ich werde im Herzen immer ein Zebra sein und wie eines handeln, aber wenn ich darüber nachdenke – und das werde ich gegenüber Nicht-Zebras immer abstreiten – dann empfinde ich, es sei mir verziehen, die Wiener Herde manchmal unerträglich.
In der IKG benehmen sich manche wie kleinliche, peinliche Dorfspießer. Die Kultusgemeinde-Wahl kommt mir so ernsthaft vor wie eine Sitzung der freiwilligen Feuerwehr in Gigritzbotschn. Es gibt nur mehr knapp 7000 Dörfler, aber mehr als 10 Fraktionen, die Mandatare stellen. Die Wahlbeteiligung wird bei circa 50 Prozent liegen, also kommen auf jeden der 24 Kultusräte im Durchschnitt 150 Juden. Jeder will zumindest im Verkehrsamt für die Gestaltung der Zebrastreifen zuständig sein und vor allem seiner Fraktion, ob Landsmannschaft oder religiöse Schattierung, möglichst viel vom Dorfbudget zukommen lassen. Diese Struktur stammt aus der Vorkriegszeit. Damals vertrat die IKG aber auch noch über 100.000 Juden. Heute ist sie nicht mehr zeitgemäß und kontraproduktiv.
Eine rasche und umfassende Wahlrechtsreform ist unerlässlich. Jetzt bestimmen Dilettanten über ein Budget, das so hoch ist wie das eines börsennotierten Industrieunternehmens und so intransparent wie die Aufzeichnungen des Sparvereins zur Goldenen Gans. Das liegt daran, dass im Laufe der Jahre eine Flut an Sondergesellschaften im In- und Ausland gegründet wurde – wahrscheinlich um genau das zu bezwecken.
Es ist empörend, dass der ehemalige Präsident und jetzige Ehrenpräsident sich schamlos in die Kontrollkommission wählen ließ. Das ist so, als ob Michael Häupl nach seiner Amtszeit als Bürgermeister der Vorsitzende des Wiener Kontrollamts werden wollte. Das öffnet Tür und Tor für Gerüchte über Motive und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Ich frage mich auch, ob die Freunde des Ehrenpräsidenten seine wirklichen Freunde sind, wenn sie zulassen, dass er sich derartige Blößen gibt, die auf seine Meriten und Leistungen, die er zweifellos während seiner Präsidentschaft erbracht hat, einen dunklen Schatten werfen. Es sollte keine zahllosen Fraktionen, sondern ein Persönlichkeitswahlrecht geben, dann würden sich auch viele qualifizierte Juden finden, die sich in einer schlanken Struktur sinnvoll engagieren wollen und dafür auch Anerkennung und Wertschätzung bekämen. Für so eine Reform sollte sich der nächste Präsident, wer immer es werden wird, dringend einsetzen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es anders kommt. Mir fällt nämlich gerade diese Geschichte hier ein, die sich seit Jahrhunderten in jeder Gemeinde so gut wie unabänderlich abspielt:
Ein Reisender kommt in ein kleines Schtetl und fragt einen Passanten: „Wie komme ich hier zu Mottl Seliger?“ – „Mottl Seliger? Der Präsident der Kulturgemeinde? Der Verbrecher? Der Dieb? Vierte Straße links.“ In der vierten Straße links fragt der Reisende das nächste Zebra: „In welchem Haus wohnt hier Mottl Seliger?“ – „Mottl Seliger? Der Präsident der Kulturgemeinde? Der Ehebrecher? Der Lügner? Haus Nummer 5.“ Vor dem Haus Nummer 5 fragt er sich weiter durch: „In welcher Wohnung lebt Mottl Seliger?“ – „Mottl Seliger? Der Präsident der Kulturgemeinde? Der Betrüger, der Gelder der Gemeinde veruntreut? Zweiter Stock, erste Tür links.“ Endlich angekommen begrüßen sich die beiden Jugendfreunde herzlich und der Reisende fragt: „Mottl! Präsident bist du jetzt?! Warum machst du das?!“ Bescheiden erklärt Mottl: „Zulieb Kuved (der Ehre wegen)!“