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Hans Dichand und die Juden
NU - Ausgabe Nr. 18 (4/2004)
von Erwin Javor
Rabbiner Jacob Biderman formuliert immer vorsichtig und bedächtig. Das wird von den Juden in Wien geschätzt und ihm auch zugute gehalten. Umso mehr, wenn man seine zurückhaltende Art zu formulieren mit irrationalen Aussagen anderer jüdischer Repräsentanten vergleicht. Es ist jedoch äußerst mühsam, Rabbiner Jacob Biderman zu interviewen. Er nimmt sich für ein Interview sehr viel Zeit und antwortet auf alle Fragen langsam und sorgfältig. Er verlangt vor Veröffentlichung eine Abschrift, um diese dann zu autorisieren. In weiterer Folge entsteht — und diese Erfahrung habe ich selbst gemacht — eine zeitaufwändige Diskussion. Obwohl das Interview auf Tonband festgehalten wurde, besteht Rabbiner Jacob Biderman nachträglich auf diversen Änderungen. Schlussendlich werden jene Aus-sagen, die im Original mutige und interessante Gedanken beinhalteten, so lange relativiert und abgeändert, bis nichts mehr von Brisanz übrig bleibt.
Um zu verhindern, dass wir mit Stehsätzen und allgemeinen Floskeln unsere geneigten Leser langweilen, haben wir von NU in der Vergangenheit bis kurz vor Redaktionsschluss mit Rabbiner Biderman um endgültige Formulierungen regelrecht gerungen. Das Resultat war dann ein Kompromiss. Ich erinnere mich, dass mir im Frühjahr 2002 eine NU-Redakteurin — von den vielen Änderungen entnervt — Folgendes auf meinen Anrufbeantworter sprach: „Ein Rabbiner ist ein Rabbiner ist ein Rabbiner ist ein Rabbiner ist ein Rabbiner.“ Die Autorisierung für das zweite Interview mit Rabbiner Jacob Biderman in der Chanukah-Ausgabe 2003 war ähnlich schwierig zu erreichen. Es war gekennzeichnet von dem Wunsch, seine ursprünglich mutigen und kritischen Aussagen im Nachhinein zu verharmlosen. In Kenntnis dieser Vorgeschichte, ist seine Grußbotschaft an Hans Dichand anlässlich der hohen Feiertage doch sehr bemerkenswert. In einem persönlichen Schreiben, welches auch prompt auf Seite 2 der „Krone“ abgedruckt wurde, schreibt Rabbiner Biderman im Namen des Lauder Chabad Campus Folgendes:
Sehr geehrter Herr Dichand,
mit den bevorstehenden ,Rosch Haschana‘-Feiertagen wird das neue jüdische Jahr 5765 feierlich eingeleitet. Der jüdischen Tradition folgend, wird an diesen Tagen in den Synagogen zu Gunsten von Freunden gebetet und das vergangene Jahr bedankt. Dies ist eine schöne Gelegenheit Ihnen unsere Verbundenheit auszudrücken und für das neue Jahr Gesundheit, Glück und Erfolg zu wünschen, mit besten Empfehlungen Prof. Rabbiner Jakob Biderman.“
Ich kann mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, dass Juden zu Gunsten von Hans Dichand gebetet haben, wenn aber doch — viele können es nicht gewesen sein. Die meisten erinnern sich nämlich noch allzu gut an die vielen Artikel, Serien und Gedichte mit antisemitischen Tendenzen in der meistgelesenen österreichischen Tageszeitung. Dichand jedenfalls bedankte sich postwendend für den reizenden Brief: Am 22. Oktober erschien auf Seite 3 der Kronen Zeitung ein großes Foto von Biderman mit Gila Katsav, der Ehefrau des israelischen Staatspräsidenten, beim Besuch des Lauder Chabad Campus mit folgendem Zitat Katsavs: „Ich bin überglücklich, dass jüdisches Leben in Österreich wieder so schön blühen kann.“
Wer ist nun jener Mann, der angeblich unser Freund ist? Hans Dichand ist Herausgeber und war bis vor kurzem auch Chefredakteur der „Neuen Kronen Zeitung“. Der über 80-jährige Dichand ist außerdem Hälfteeigentümer dieser — im Verhältnis zur Bevölkerungszahl — größten Tageszeitung der Welt. Der andere 50-Prozent-Anteil an der „Krone“ wird vom deutschen WAZ-Konzern gehalten.
Die „Krone“ wurde zwar als populistisches Massenblatt konzipiert, hat aber aufgrund vieler antisemitischer und fremdenfeindlicher Inhalte, welche immer wieder alte Ressentiments schüren, den Zorn des mächtigen WAZ-Konzerns hervorgerufen. Die Folge war, dass der deutsche Konzern Hans Dichand und seinen als Chefredakteur eingesetzten Sohn entmachten wollte. In einem NEWS-Interview hat der WAZ-Chef Erich Schumann bedauert, dass „antisemitische Untertöne“ in der „Krone“ festzustellen sind. Hans Dichand, der im Zuge des Kampfes um die „Krone“ gegen den WAZ-Konzern eine Auseinandersetzung vor einem unabhängigen Schiedsgericht austrägt, klagt daraufhin Erich Schumann und Hans Rauscher, der Schumanns Aussage im „Standard“ zitiert hatte. Die Beklagten konnten scheinbar mühelos mit einer umfangreichen Dokumentation den Wahrheitsbeweis antreten und bekamen daher vor Gericht Recht. In der schriftlichen Begründung vom 12. Juli 2004 heißt es unter anderem: „Es wurden dem Leser antisemitische Untertöne vermittelt, teils unverhohlen, teils durch Anspielungen und Andeutungen. Aus dem Kontext der einzelnen Artikel gelangte das Gericht zur Feststellung, dass die ,Neue Kronen Zeitung’ zumindest in den im Urteil angeführten Beiträgen und Artikeln antisemitische und rassistische Untertöne jedenfalls bis in das Jahr 2003 verbreitet hat.“
Jeder, der Hans Dichand für unseren Freund hält, sollte das soeben erschienene Buch von Hans Rauscher „Israel, Europa und der neue Antisemitismus“ (Molden) lesen. Was könnte Rabbiner Jacob Biderman veranlasst haben, Hans Dichand einen derartigen Brief zu schreiben? Hält er ihn tatsächlich für einen Freund oder verspricht er sich möglicherweise nur weitere finanzielle Hilfen für Chabad? Es ist unbestritten, dass Chabad in Wien eine wichtige soziale und geistige Aufgabe erfüllt, die nicht hoch genug hervorzuheben ist. Das gibt aber Biderman noch lange nicht das Recht, eine Person zu „kaschern“ (für koscher zu erklären), die in der Vergangenheit für viele Vorurteile und Ressentiments gegen Minderheiten in Österreich die Mitverantwortung trägt.
Andererseits stellt sich die interessante Frage, was Dichand veranlasst haben könnte, seine Blattlinie in dieser Frage zu ändern. Die „Krone“ hat sich nämlich in den letzten Monaten in der „Judenfrage“ auffällig zurückgehalten. Auch die Israelberichterstattung ist objektiver und unaufgeregter, als in so manch anderen so genannten und selbst ernannten österreichischen Qualitätszeitungen. Über die Gründe kann man lediglich spekulieren. Hat die Freundschaft zu Rabbiner Jacob Biderman den mächtigen Hans Dichand bekehrt oder will er nur sein schlechtes Image verbessern? Dichand ist bekanntlich Milliardär. Seine überreiche Ernte wurde auch dank der „antisemitischen Untertöne“ in der „Krone“ eingefahren. Finanziell und machtpolitisch hat Dichand in seinem Leben alles erreicht. Möglicherweise will er nicht als Antisemit der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Wesentlich wahrscheinlicher ist es aber, dass sich Hans Dichand im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem deutschen Hälfteeigentümer zurückhält, um den Gegner vor Gericht in Beweisnotstand zu bringen. Wenn nämlich Rabbiner Biderman Hans Dichand öffentlich als Freund bezeichnet, kann er schwerlich von den gegnerischen Anwälten zum Antisemiten gestempelt werden.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten der Infrastruktur unserer Gemeinde nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung (oder von Einzelpersonen) abhängig zu sein.