NU - Kommentare

Chaser-Grippe - Armes Schwein

NU - Ausgabe Nr. 37 (3/2009)
Von Erwin Javor

Moslems und Juden sind oft nicht die besten Freunde. Aber jetzt besteht eine Chance auf Eintracht wie selten zuvor, weil jetzt haben sie einen gemeinsamen Feind: das Schwein. Es gilt die Schweinegrippe zu bekämpfen. Das auslösende Virus ist eine Kombination aus Schweineviren, einem Geflügelvirus und einem Menschenvirus, aber nur das Schwein kam zum Handkuss und wurde Namensgeber des aktuellen Influenzavirus. Weil die Bezeichnung eigentlich irreführend ist, wurde schon ein Umstieg auf die Bezeichnung „nordamerikanische“ Grippe versucht (von der Weltorganisation für Tiergesundheit); oder „südamerikanische Grippe“ (von Präsident Obama); oder „neue Grippe“ (von der Weltgesundheitsorganisation, der EU und den Schweizer Schweinezüchtern); oder „mexikanische Grippe“ (vom israelischen Gesundheitsministerium – was den diplomatischen Beziehungen Israels mit Mexiko nicht gut tat). Es hat aber alles nichts geholfen, die aktuelle Influenzabedrohung heißt immer noch nach dem Schwein. Das hat dessen Feinde auf den Plan gerufen:

Eine kleine Gruppe Ultra-Orthodoxer in Israel ging in die Luft. Sie charterten ein Passagierflugzeug und flogen rund eine halbe Stunde lang über Israel, um durch die dadurch vermutete größere Nähe zu Gott mit kabbalistischen Ritualen weitere Opfer durch die Schweinegrippe zu verhindern. Eine breitere schweinische Diskussion löste ein religiöser Brauch aus: Juden bringen bekanntlich an ihren Haustüren eine Mesusa an, eine kleine Kapsel mit einer kleinen heiligen Schriftrolle, die beim Betreten des Hauses respektvoll mit der Hand, die mit einem angedeuteten Kuss zum Mund geführt wurde, berührt wird. In Israel geschieht das nicht nur an den Türen von jüdischen Privathaushalten, sondern auch an den Eingängen von Einkaufszentren, Supermärkten, Krankenhäusern, Ämtern, Rechtsanwaltskanzleien und so weiter. Der Brauch Mesusoth zu küssen hat anlässlich der Schweinegrippe eine religiöse Debatte in Israel entfacht, weil, wie ein israelischer Krankenhausarzt feststellte, Mesusoth regelrechte Virenschleudern wären, auf denen man Koli-, Klebsiella- und Staphylokokken- Bakterien gefunden hatte. Somit wäre auf dem Weg womöglich ja auch das Schweinevirus übertragbar. An und für sich ist diese Diskussion aber ohnehin überflüssig, weil wie der Oberrabbiner von Wien, Paul Chaim Eisenberg, feststellte, nirgends stünde, dass man Mesusoth überhaupt küssen müsste. Lediglich am Türpfosten anbringen sollte man sie.

Zur Abwechslung nicht mit den Juden, sondern dem gemeinsamen Feind, dem Schwein, beschäftigt, vertritt die Muslimbruderschaft die Ansicht, dass die Schweinegrippe schlimmer sei als die Wasserstoffbombe. Jordanien schloss Schweinefarmen und machte Hunderten Schweinen den Garaus und plant jetzt die nichtgeschlachteten Tiere in Gegenden fern der Bevölkerung umzusiedeln. Ägypten hat unter Verweis auf die zu vermeidende vermeintliche Ansteckungsgefahr die Notschlachtung von Hunderttausenden Schweinen bereits beschlossen. Nachdem viele Moslems sich aber eigentlich keine Sorgen machen, sondern glauben gegen die Schweingrippe immun zu sein, weil sie ja, ebenso wie die Juden, kein Schweinfleisch essen dürfen, kamen die christlichen Kopten in Ägypten, für die die Schweinezucht oft den Lebensunterhalt darstellt, in Generalverdacht. In einem Vorort von Kairo kam es sogar zu einer Straßenschlacht zwischen Schweinezüchtern und der Polizei.

Vertreter des Gesundheitswesens aus Israel, der palästinensischen Autonomiebehörde und Jordanien trafen sich schließlich auf der historischen Allenby-Brücke, um eine gemeinsame Strategie gegen die Schweinerei zu erarbeiten. Ägypten schmollte und erschien nicht, aber davon abgesehen, vereinten sich, Schwein sei Dank, Juden und Moslems im gemeinsamen Geist des Unsinns.

* Chaser: Jiddisch Schwein