Reden - Speeches

Laudatio für Herman van Veen

Anlässlich der Verleihung des 16. Münchhausen-Preises der Stadt Bodenwerder am 5. Mai 2012
Von Erwin Javor

Lieber Herman!

Als man mich gefragt hat, ob ich für Dich - im ehrwürdigen Bodenwerde - eine Laudatio halten könnte, war ich derart stolz und aufgeregt, dass ich sofort alle Freunde angerufen habe, um ihnen das mitzuteilen. Um ganz ehrlich zu sein, meine Motive waren nicht sehr edel. Ich wollte sie neidisch machen. Ich darf für einen Ausnahmekünstler, einen Weltstar, einen Ausnahmemenschen eine Rede halten.  Die Reaktion auf meine Angeberei war durchwachsen. Die meisten meiner Freunde fragten: Du? Wieso gerade Du?

Ich muss jetzt nicht erwähnen, dass all diese Freunde nunmehr meine Exfreunde sind. Aber von einer Reaktion möchte ich Dir berichten. Ich habe einen engen Freund in New York angerufen und ins Telefon gebrüllt. Herman van Veen bekommt den „Münchhausenpreis“! Herman van Veen bekommt den Münchhausenpreis! Die Antwort: Congratulation! Great, I love Herman, I admire him, he is the greatest. But who the fuck is Munchhausen?!“ Ich muss mich daher aus gegebenen Anlass - bei Ihnen liebe Zuhörer - für die amerikanische Unwissenheit entschuldigen, aber immerhin ist es Ihnen und den Verantwortlichen dieser Feier, gelungen -über den Umweg einer Ehrung für Herman - den Lügenbaron sogar in den USA populär zu machen. Aber ich habe doch einige Minuten gebraucht, um meinen Freund zu überzeugen, dass nicht Baron Münchhausen den Herman van Veen-Preis erhalten wird, sondern umgekehrt.   

Lieber Herman!

Als Anita und ich, Dich vor einigen Jahren persönlich kennengelernt haben bist Du in einem Wiener Hotel nach einem Deiner denkwürdigen Konzerte – mit im wahrsten Sinne des Wortes ausgebreiteten Armen - auf uns zugegangen. Als ich Dich nach einigen Minuten verblüfft gefragt habe, warum Du, einem damals noch unbekannten Paar derart herzlich entgegenkommst, hast Du mit einem einzigen Wort geantwortet: „Gänsehaut.“ Ja, die bekomme auch ich immer wieder, und sogar jetzt in diesem Augenblick, wenn ich mich daran erinnere.

Immer wieder wirst Du gefragt, wer und was Du eigentlich bist. Bist Du vor allem Sänger? Bist Du Maler? Ein fein beobachtender Geschichtenerzähler? Zauberer? Bist Du Komponist? Kabarettist? Musiker? Poet? Filmautor? Clown? Dichter? Geiger? Gitarrist? Philosoph? UNICEF-Botschafter? Philanthrop? Genie? Geistiger Vater von Alfred Jodocus Kwak? Bist Du hauptsächlich Entertainer? Bevor Du dann antwortest, denkst Du immer sehr lange nach und sagst dann meist: „Ich bin Holländer.“

Du bist aber auch und vor allem seit über 40 Jahren ein leidenschaftlicher und unerbittlicher Anwalt für alle entehrten und gedemütigten Kinder dieser Welt. Werner Neske, Vorstand der deutschen Herman van Veen-Stiftung, hat mir vor einigen Wochen erzählt, dass Du, auf einer Deiner zahllosen Reisen, ein Krankenhausprojekt in Afrika besucht hast. Eine verzweifelte Frau hat Dich irrtümlich für einen Arzt gehalten und ihr Kind hilfesuchend in Deine Arme gelegt. Aber das Kind war bereits tot.

Wie verarbeitet ein Mensch wie Du, ein Künstler wie Du, so ein Erlebnis? Er reist weiterhin unermüdlich durch die Welt, gründet ein Hilfswerk nach dem anderen, investiert zuallererst sein eigenes Geld, sammelt Spenden für diese Vorhaben und – last, but not least - komponiert er ein harmloses Kinderlied mit humorvollen Strophen – lässt sein Publikum bis zuletzt im Unklaren - und nachdem alle eingelullt sind und vergnügt über die Pointen lachen - beendest er dieses Lied für alle unerwartet mit „... und das Kind war tot.“

Meine Frau Anita hatte es sich in den Kopf gesetzt, Dich und Edith Leerkes an unser Theater nach Wien zu holen. Um Dich zu überzeugen, sind wir Dir mehrmals zu Deinen Auftritten nachgereist. In Linz, zum Beispiel, bist Du vor 93.000 begeisterten Zuschauern am Donauufer aufgetreten. Ich war nicht nur von Deiner künstlerischen Leistung überwältigt, sondern auch ein wenig eingeschüchtert. Warum sollte ein Künstler, der gewohnt ist, Stadien zu füllen, der im Lincoln Center New York, in der Carnegie Hall, auch regelmäßig im Königlichen Theater Carré in Amsterdam und im Pariser Olympia auftritt, in einem doch relativ kleinen Haus gastieren wollen? Meine wunderbare Frau war sich aber ganz sicher: „Ein Künstler wie Herman muss und will seinem Publikum  hin und wieder wirklich nahe sein.“ Und Recht hat sie gehabt.

Du kommst jetzt mit der wunderbaren, beeindruckenden Weltklasse-Gitarristin Edith Leerkes, die Dich künstlerisch schon seit so vielen Jahren begleitet,  im Juni nun schon zum vierten Mal an unser stadtTheater walfischgasse nach Wien.

Jetzt werden Sie, liebe Ehrengäste, vielleicht wissen wollen, wie man dieses Haus, das ich Ihnen übrigens nur wärmstens empfehlen kann, in Wien findet.  Das ist ganz einfach. Fragen Sie einen x-beliebigen Passanten nach der Wiener Staatsoper und die Antwort wird immer lauten: Die Oper? Die ist leicht zu finden. Die ist gleich neben dem stadtTheater walfischgasse.

Du hast mich gebeten, lieber Herman, nicht über Deine Auszeichnungen zu sprechen, die Du für Dein bisheriges Lebenswerk schon erhalten hast. Daran werde ich mich natürlich halten. Es sind auch viel zu viele und das würde auch zu sehr aufhalten. Ich werde also nicht berichten, dass Du unter anderem von Königin Beatrix  zum Ritter geschlagen wurdest, dass Du Träger des Luis David-Rings bist und vom deutschen Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hast. Auch erzähle ich nicht, dass Dir die „World Peace Flame“ überreicht wurde und Du nach Helmut Schmidt, Richard von Weizäcker und Karl-Heinz Böhm, die Martin Buber Plakette erhalten hast. Keineswegs wird hier verraten, dass Du ein Ehrendoktorat der Universität Brüssel verliehen bekommen hast. Und Du kannst Dich ganz auf mich verlassen, Deine Ernennung zum Professor honoris causa der ehrwürdigen Martin Buber Universität in Brüssel im März dieses Jahres, wird von mir mit keinem Wort erwähnt werden. Denn, versprochen ist versprochen.

Ich habe Dir aber nicht zugesagt, dass ich ein Geheimnis aus der Tatsache machen werde, dass Du mehr als zwanzig Millionen Stück Deiner bisher 175 CDs, 21 DVDs und 70 Bücher und Drehbücher, vermarktet hast.

Aber wenn ich schon überhaupt nichts sagen darf, will ich zumindest von Deinen Freunden berichten, Menschen, die Dich beeinflusst haben und die Du beeinflusst hast: Internationale Künstler wie Jacques Brel, Shirley MacLaine, Sammy Davis jr., Sir Peter Ustinov, Leonard Cohen, George Moustaki oder Audrey Hepburn, die Dich zu UNICEF gebracht hat oder Nelson Mandela, der Dir persönlich für deinen Einsatz in Südafrika gedankt hat.

Deutsche Freunde hast Du natürlich auch: Konstantin Wecker zum Beispiel. Und nicht zu vergessen, Alfred Biolek und Thomas Woitkewitsch, die Dich vor Jahrzehnten nach Deutschland gebracht haben. Heute würde man das kaum glauben, aber das ist damals nicht ohne Aufregung vor sich gegangen. Du hast damals viel Post bekommen. Ein Fan schrieb: „Warum gehst Du nach Deutschland? Hast du denn den Krieg vergessen? Landesverräter! Man kann überall berühmt werden, aber doch nicht in Deutschland. Du bist ein Arsch, und ich gehe nicht mehr in deine Vorstellungen. Ich werde jetzt deine Platten heimlich kaufen.“Wer mehr über Dich wissen will, der muss Dir nur genau zuhören. Wie Du z.B. von Deinen Eltern erzählst. Mit großer Zärtlichkeit und Liebe berichtest Du in Deinen Büchern und auf der Bühne über teils skurrile Begebenheiten. 

„Papa, ich bin gleichzeitig in zwei Mädchen verliebt. Ist das schlimm?“ hast du Deinen Vater im Beisein Deiner Mutter einmal gefragt. „ Nein mein Junge. Das wird dein ganzes Leben lang so bleiben.“ Oder als Dein Onkel sich über die Größe Eures Gartens lustig gemacht hat: „Das nennst Du Garten?“ hat er gespottet und dein Vater hat ihm entgegnet: „Mein Schrebergarten mag klein sein, aber Du hast keine Ahnung wie hoch er ist!“ Wie hast Du den Beginn Deines Lebens einmal beschrieben? „Ich ging mit Vater in den Wald und kam in meiner Mutter zurück.“

Und jetzt weiß ich immer noch nicht, wie ich es definieren soll, was Du machst. Gott sei Dank weiß es eh jeder auch so. Deine Aufführungen sind auf den ersten Blick ohne erkennbare Struktur und ohne erkennbare Dramaturgie. Das Publikum erlebt jeden Abend und doch nicht jeden Abend gleich - scheinbar kunterbunt durcheinander gewürfelt - Kabarett, Chanson, Theater und Tragikomödie. Mal einen Zauberer, mal einen Clown, mal den Moralisten.

Zweimal habe ich Dich auf der Bühne plötzlich und unerwartet weinen gesehen. Ich war schockiert. Das Publikum hat den Atem angehalten. Du hast das Programm dann abgeändert und eines Deiner Gedichte vorgelesen:

Es war Krieg
der Clown ...
der Clown da in der Manege
von diesem Zirkus
ist ein Jude

Die Deutschen in der schwarzen Uniform
gaben dem Clown
einen Haftbefehl 

Mit zitternden Händen
riss der Clown
den Umschlag auf
und brach in Tränen aus

Ein Mädchen im Publikum rief:
Clown, Clown,
warum musst Du jetzt so weinen? 

Der Clown sagte:
Ach Mädchen,
ich kann doch nicht lesen ...

Du hast eine wunderbare Frau, Gaetane, die auch eine großartige Künstlerin ist und vier Kinder. Dein Sohn Valentin, Anne und Babette stehen wie Du mit großem Erfolg auf der Bühne und Merlijn ist der beste Toningenieur den man sich vorstellen kann. Vor zwei Jahren hat er Dein Weihnachtskonzert vor 7.000 Zuhörern in der Wiener Stephanskirche – eine ungeheure Herausforderung – technisch betreut  und der Ton war so perfekt, dass ich sogar eine langweilige Predigt eines Pfarrers genossen hätte.

Unser schönstes Erlebnis aber hatten Anita und ich mit Dir in Berlin. In der großen Synagoge haben Edith und Du die Geschichte von Selma Meerbaum-Eisinger erzählt.  Ein zartes, zerbrechliches jüdisches Mädchen. Sie wurde 1942 mit 18 Jahren in einem deutschen Arbeitslager ermordet. Sie hinterließ 57 Gedichte, die inzwischen zur Weltliteratur gezählt werden. Ich werde Dir ewig dafür danken, dass Du einige dieser Gedichte vertont und so zum weiteren Erblühen gebracht hast. Eines davon konnte Selma nicht mehr fertigschreiben:

Du, weißt du, wie der Regen weint,
und wie ich geh' erschrocken bleich,
 und nicht weiß, wohin zu flieh'n?
Wie ich verängstigt nicht mehr weiß:
 Ist es mein Reich, ist es nicht mein Reich,
gehört die Nacht mir, oder ich, gehör' ich ihr,

und ist mein Mund, so blass und wirr,
 nicht der, der wirklich weint ... ?

Herman, Du bist ein ruheloser Weltverbesserer. Eigentlich sollte Dir Hameln, wenige Kilometer von hier entfernt, auch den „Rattenfängerpreis" überreichen. Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, der kanonenkugelreitende Baron, würde sich jedenfalls schon einmal freuen, wenn er wüsste, dass jemand wie Du einen nach ihm benannten Preis bekommt.

Lieber, wunderbarer Herman. Wenn ich Dich in nur ganz wenigen Worten beschreiben müsste, ginge das nur so:
Alle haben gesagt: “Das geht nicht.
Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es gemacht.

Anita und ich gratulieren Dir!
Von ganzem Herzen!
Gänsehaut!

Download:
Münchhausenpreis 2012
Artikel im Bodenwerder

Webtipps:
TV-Beitrag über die Preisverleihung
Preisverleihung auf youtube