Reden - Speeches

Lieber Joschuah!

Du hast mich gefragt, ob ich Deine Laudatio halten würde. Glaub mir, das ist für mich eine wirklich große Ehre. Ich habe darüber nachgedacht, was uns verbindet, dass Du ausgerechnet mich darum gebeten hast. Das ist mir zunächst einmal eingefallen:

Wir stammen beide von ostjüdischen Eltern ab, die es in die Welt verschlagen hat. Allein das verbindet, jedenfalls mich mit dir, auf einer tiefen Herzensebene. Nur, Deine Eltern sind in Israel, damals Palästina, gelandet, meine Eltern haben in Wien Zwischenstation gemacht und sind, mit gepackten Koffern, dort geblieben.

Dann spielt natürlich auch noch der eine oder andere Zufall eine Rolle, der unsere Wege sich kreuzen ließ. Wir sind praktisch Nachbarn in Tel Aviv. Wir wohnen zufälligerweise - oder auch nicht - beide auf der Sderoth Chen. „Chen“ heißt auf Hebräisch „schön“ und im Jiddischen meint man, wenn jemand Chen hat, dass er oder sie „Liebreiz“ hat. So wie wir. Oder?

Der Name der Straße steht aber auch - wie Du mir einmal erzählt hast- für eine Abkürzung der Vornamen des großen israelischen Nationaldichters Chaim Nachman Bialik. Euch beide verbindet die große und daher auch schmerzhaft-kritische Liebe zu Israel. Wie Du, war Bialik ein Mahner und ein Zerrissener. Er kritisierte die Orthodoxie, die er zwar für deren Hingabe bewunderte, aber zugleich wegen derer begrenzter Weltanschauung verachtete. Wie Bialik liebst Du Israel mit jeder Faser deines Herzens und zählst dennoch zu den unentwegt kritischen Stimmen im Land. Für diese unendliche Kraft ständig in diesem Spannungsfeld zwischen großer Liebe und harscher Kritik zu bleiben, bewundere ich Dich!

Wir beide haben noch etwas gemeinsam: Du, wie auch ich, haben großartige Frauen. Deine Edna und meine Anita sind beide Könnerinnen in ihrem jeweiligen Fach, wissen aber davon abgesehen auch in jeder anderen nur erdenklichen Lebenssituation genau was sie wollen und setzen das auch energisch und erfolgreich um.

Erinnerst Du Dich, als letztes Jahr die Stadtverwaltung in Tel Aviv entlang unserer schönen Straße die Bäume gestutzt hat? Viel zu viel - zumindest nach dem Geschmack unserer Frauen - und vor allem ohne ihr Einverständnis. Sie sind auf die Barrikaden gestiegen und haben vom Bürgermeister abwärts alles aufgescheucht, das auch nur in die Nähe dieser Schandtat kam und dafür verantwortlich gemacht werden konnte. Sogar die Bäume waren derart eingeschüchtert dass sie nunmehr in doppelter Geschwindigkeit wieder nachwachsen. Das erfreut auch die zahlreichen Fledermäuse, die sich in den Wipfeln dieser wunderschönen und hochgewachsenen Ficusbäume wieder niedergelassen haben, um zu meinem Leidwesen – ich bin zugegebenermaßen kein wirklicher Naturschützer - ihre verdauten Essensreste auf unserer Terrasse zu verteilen.

Aber unsere Frauen schüchtern natürlich nicht nur Stadtverwalter ein, sondern sind vor allem beide Künstlerinnen. Deine Edna ist eine großartige Bühnen- und Kostümbildnerin, meine Anita leitet das stadtTheater in der Walfischgasse. Sie hat zu Deinem Werk eine ebenso große Affinität, wie sie auch Ednas Seelenverwandte im Kampf gegen die Ungebührlichkeit der Welt ist. So sind wir in Wien zusammengekommen. Gemeinsam mit Dir als Regisseur und einer genialen Bühnen- und Lichtkonzeption von Edna wurde die Uraufführung Deines Werks „Verklärte Nacht“ voriges Jahr zu einem großen Erfolg, auf den sowohl Anita, als auch ich stolz sind.

Jetzt möchte ich für jene Anwesenden, die nicht genau wissen, wer Du bist, so unwahrscheinlich das auch ist, kurz beschreiben, was Dich zum großen Sobol macht.

Dein Weg als Sohn ostjüdischer Einwanderer begann zunächst in der israelischen sozialistischen Jugendbewegung HaSchomer HaTzair und in deinem Kibbuz. Später hast Du nicht nur Literatur und Geschichte am Oranim College in Israel, sondern auch 4 Jahre Philosophie an der Sorbonne in Paris studiert, unter anderem auch Konzeptionsanalyse und Informatik.

Von 1984 bis 1988 warst Du am Haifa Municipal Theatre künstlerischer Leiter.

Irgendwann hat man Dich nach der Definition des Jüdischen Theaters gefragt. „Jüdisches Theater“, hast Du gesagt,“ ist Theater, das in jüdischen Sprachen geschrieben ist. Also in Jiddisch, Hebräisch, Englisch, Russisch, Französisch, Deutsch...“

Was Du ganz sicher auch unter jüdischem Theater verstehst ist kritisches bzw. selbstkritisches Theater. Nichts verheimlichen, nichts verstecken oder soll man – fragst Du - die Bibel verstecken, weil unsere Propheten uns so schrecklich kritisiert haben?

Diese Überzeugung hast du immer gelebt und in vielen Deiner Werke zum Ausdruck gebracht. Nach der Uraufführung Deines Stücks „Das Jerusalem Syndrom“ kam es deswegen sogar zu heftigen und unschönen Auseinandersetzungen und Protesten in ganz Israel. Es ging soweit, dass Du das Land verlassen und einige Jahre in London gearbeitet hast. In diesem Stück gehst Du zurück zu den Ereignissen, die zur Zerstörung des Zweiten Tempels geführt haben und Deiner Meinung nach ein jüdischer Selbstmordversuch waren. Du hast am historischen Beispiel gezeigt, wie jüdische Extremisten Konflikt und Hass zwischen Juden schüren. „Das Jerusalem Syndrom“ war eine ausschlaggebende Wende im israelischen Theater und im kulturellen Leben des Landes. Ein Theaterstück befand sich im Herzen der öffentlichen Kontroverse über nationale Moral und Gesundheit.

Allein das macht dich schon groß, Joschuah. Denn wie selten kann ein Künstler von sich behaupten, so wirksam seinen Finger auf eine nationale Wunde gelegt zu haben. Das ist zwar lange her, doch aktuell wie damals. Vor zwei Jahren habe ich eben dieses Stück in Tel Aviv auf dem Rabinplatz gesehen. Es wurde, unter Deiner Regie, von jungen Studenten in einem Zelt aufgeführt.  Das aufmerksame Publikum war mucksmäuschenstill und verstand die Botschaft. Diesmal gab es keinerlei Proteste, sondern lediglich gedämpfte Nachdenklichkeit. Denn genau hier an diesem Platz hatte sich bewahrheitet, was Du in Deinem Stück schon vor so langer Zeit befürchtet hattest. Ein jüdischer Extremist hat Ministerpräsident Jitzak Rabin, ermordet –. Und das während einer Friedensdemonstration!

Das Jerusalemsyndrom ist nur ein Beispiel, wie Dein Denken, ausgedrückt in Deinem Schreiben, den Ereignissen voraus war. Viele deiner Theaterstücke sind Deine Art politisches Engagement und Leidenschaft zu leben. Du greifst bewusst gesellschaftliche Themen und Konflikte auf, beziehst Position und strebst nach Veränderung im Interesse des Guten. „Das Theater“, sagst Du „ist eine Kunst, die ausdrückt, was in der Seele der Gesellschaft vor sich geht. In unserer momentanen Situation sollten wir im Theater laut aufschreien!“

Wie ein dem Wiederholungszwang gehorchender Patient zu seinen schmerzhaften Traumata zurückkehrt, so kannst auch Du nicht von diesem ideellen Konflikt zwischen Soll und Sein lassen. Viele Deiner Werke setzen sich mit dem Thema der Konflikte von Juden über ihr Sein und Handeln auseinander. Es ist kaum möglich, die Komplexität Deiner Themen, die ich hier so ungerechtfertigt kurz abhandle, angemessen wiederzugeben. Ich werde Dir aber wahrscheinlich gerecht, wenn ich sage, dass Deine stete Auseinandersetzung mit Opfern und Tätern Dir alle Perspektiven eröffnet. In Deinem Stück „Ghetto“ hast Du ebenfalls die Parallele zwischen Verfolgern und jenen Verfolgten, die ihren Verfolgern immer ähnlicher werden, gezogen.

Dein Interesse für das Phänomen des Antisemitismus zieht sich durch Dein gesamtes Werk. In den meisten Deiner Theaterarbeiten, genauso wie in Deinen Romanen, wie z. B. „Die Taten der Väter“, „Nach dem Krieg“, „Schweigen“ oder „Whiskey ist auch in Ordnung“, suchst Du wieder und wieder die Antwort auf diese Frage. Wo befinden sich die Wurzeln für dieses Krankheitsbild?

In einem anderen Zusammenhang hast Du das Thema auch ganz kurz, wenn deshalb auch nicht weniger tiefsinnig, skizziert:

Ein Chassid, also ein frommer Jude, kommt ganz aufgeregt zu seinem Rabbiner und ruft verzweifelt: “Die Christen haben unsere 10 Gebote gestohlen!“ Der Rabbiner bleibt gelassen: „Mach Dir keine Sorgen, sie werden sie nicht verwenden.“

Oft hast Du Dich auch mit dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts beschäftigt, war ja auch die Dreyfuß-Affäre 1884 der Anstoß für den Wiener Journalisten Theodor Herzl für seine zionistische Idee, nämlich eine sichere Heimstätte für alle Juden zu schaffen. Auch dein neues Werk über Richard Wagner behandelt diesen Zeitabschnitt.

Der moderne Antisemitismus kleidet sich aber oft in ein neues Gewand. „Heute ist der Antizionismus modisch geworden“, hast Du gesagt. „Israel ist jetzt ein Staat wie jeder andere auch und muss sich selbstverständlich kritisieren lassen. Aber wenn man die Existenz Israels infrage stellt, dann verhält sich die Sache anders. Es stellt ja auch niemand die Existenz Chinas in Frage“, sagst Du, „bloß weil man die Tibet-Politik der Chinesen ablehnt.“

Gleichzeitig hat Deine kritische Seele aber weiterhin zu kämpfen, denn der erste, der kritisch hinterfragt, bist Du selbst.

Ich habe nicht so viel Redezeit, wie Du Stücke, und nicht nur Stücke, auch Romane, Kolumnen und vieles mehr geschrieben hast. Verzeih’ mir also, wenn ich es nicht schaffe, Deinem umfassenden, bedeutenden Schaffen auch nur annähernd durch Vollständigkeit gerecht zu werden!

Du bist ein großer israelischer Künstler, der weit über die Grenzen dieses kleinen Landes hinaus international Anerkennung gefunden hat. Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte aufzuzählen wo überall Deine Stücke gespielt wurden.

Nachdem wir gerade in Wien sind, möchte ich natürlich erwähnen, dass einige Deiner Werke sich nicht zuletzt auch mit den durchaus perfiden Varianten der Wiener und Österreichischen Seele auseinandersetzen. Du hast Dich intensiv mit dem Land und der Stadt Wien beschäftigt, die nicht nur Mozart und Schubert, sondern auch Hitler und den Wiener Bürgermeister Karl Lueger hervorbrachte, der sich anmaßte zu definieren, wer Jude ist und wer nicht. Leider hat sich Roda-Roda geirrt, der da meinte „wenn man mit dem Antisemitismus Erfolg haben will, dann muss das schon ein tüchtiger Jud’ in die Hand nehmen.“

Da ist einmal „Alma – A Show Biz ans Ende“, Dein seit Jahrzehnten im In- und Ausland erfolgreiches Polydrama –kongenial umgesetzt von Paulus Manker- über Alma Mahler-Werfel und ihre zahlreichen und häufig jüdischen Männern, mit außergewöhnlichen kreativen Begabungen. Im Vertrauen: Du hättest übrigens perfekt in ihr Beuteschema gepasst. Schon viel früher, ebenfalls auch in Wien inszeniert und gespielt von Paulus Manker, hast Du in „Weiningers Nacht“ die Geschichte dieses Wiener Philosophen erzählt, der sich im jüdischen Selbsthass schließlich umbringt. Nur dafür hast Du Dein völlig perfektes Deutsch gelernt, weil Du Weiningers Werk nur antiquarisch auf Deutsch bekommen konntest. Wiener Theaterbesucher kennen auch Dein Stück „F@lco - A Cybershow“ oder Dein Stück, „iWitness“, das sich mit der Geschichte des Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter beschäftigt. In diesem Stück ziehst du Parallelen zu jungen Soldaten der israelischen Armee, die sich weigern, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun – in Israel ein äußerst virulentes Thema, das Dich abermals in die Zerrissenheit zwischen Kritik an Israel und Liebe zu diesem Deinem Land zog.

Deine große Bedeutung lässt sich auch daran erkennen, dass dieser Ehrung heute, schon eine Unzahl anderer vorangegangen sind: Du hast beispielsweise – gleich fünfmal - den David’s Harp Award bekommen, daneben den David Pinski Award, den Meskin Award, den Issam Sartawi Award und den Rosenbaum Award für deinen Beitrag zum israelischen Theater. Und viele andere, die jeder jederzeit selber nach-googlen kann. Und, was mir ganz besonders gut gefällt, Du wurdest in einer öffentlichen Wahl sogar zum 185wichtigsten Israeli aller Zeiten gewählt. Falls das, wider Erwarten, jemanden in diesem Saal nicht beeindrucken sollte, es bedeutet, dass immerhin ca. 8 Millionen Genies, also Israelis, weniger wichtig sind als Du.

Lass mich nur noch eines sagen, lieber Joschuah – und ich paraphrasiere der Einfachheit halber wieder einen großen Dichter, also Dich: Du bist für Israel und jeden politisch und ethisch denkenden Menschen, was das Nervensystem für den Körper ist. Ein unentbehrliches Alarmsystem. Oft scheint es ein Wunder zu sein, dass ein so sensibles System, das so strapaziert wird, nie aufhört zu funktionieren. Erst wenn ein Nerv versucht ein Muskel zu werden – also Macht auszuüben-, versagt er.

So ist es Dir wohl ergangen, als Dich kürzlich eine Interviewerin gefragt hat, ob Du, kritisch wie Du bist, Israel je verlassen würdest. Du hast ganz plötzlich zu weinen begonnen und gesagt: „Nein. Nie. Das würde ich nie tun.“  Als ich das gelesen habe, stiegen auch mir die Tränen in die Augen. Wie immer man auch zu deiner Weltanschauung steht, eines ist unbestritten und einfach eine Tatsache:

Eben diese große Liebe, die in Deinem Schmerz liegt, macht Dich bedeutend und wichtig.

Ich gratuliere Dir von Herzen zu dieser hohen Auszeichnung.