NU - Mammeloschn

Schwarz far di Ojgn - Schwarz vor den Augen

NU - Ausgabe Nr. 37 (3/2009)
Von Erwin Javor

Wie ich schon das letzte Mal in dieser Kolumne bemerkte, Jiddisch ist eine bildliche Sprache.

Stellen Sie sich jemanden vor, der sich plagt und plagt und trotzdem wirtschaftlich erfolglos bleibt, einen, der scheinbar ständig irgendetwas falsch macht, sich selbst im Weg steht und seinen Erfolg verhindert. Wenn sich zwei des Jiddischen mächtigen Freunde über ihn unterhalten würden, bedürfte es nicht so vieler Worte, um diesen Menschen zu erklären. Die lakonische Anmerkung „er tappt nebbach a Wand“ wäre völlig ausreichend. („Er tappt mit den Händen im Finstern an einer Wand entlang, weil er keine Lichtquelle findet, die ihm den Ausweg zeigt.“). Das funktioniert natürlich nur, wenn sie dabei die Schultern zucken, und zwar auf eine ganz bestimmte Art, meistens etwas träge nur eine der Schultern hebend, die Mundwinkel verächtlich nach unten richten, die Augen, wenn’s geht nur das linke, seufzend geschlossen halten, die Handflächen leicht mitleidig nach oben drehen und die Daumen etwa 45 Grad strecken und zwar ebenfalls nach oben. Alles klar?

Apropos finster: Wurde ein Jude überrascht, erschrocken oder schockiert, könnte es gut sein, dass er die Auswirkungen der Geschehnisse mitteilt, indem er sagt: „Es is mir geworn schwarz far di Ojgn!“ („Ich bin vor lauter Überraschung/Schreck/ Schock beinahe ohnmächtig geworden!“) Das sagt er natürlich auch nicht ohne passende Gestik, Mimik und Dramatik, womit auch jeder zufällig anwesende Taubstumme ebenfalls ausreichend informiert wäre.

Apropos noch finsterer: Kommt ein Schnorrer zum Baron Rothschild. „Helfen Sie mir! Ich habe sieben hungrige und unmündige Kinder, und zu meinem Unglück hat Gott mir auch noch mein Augenlicht genommen, ich bin blind.“ – Sagt Rothschild: „Wie kann ein gottesfürchtiger Mann so verantwortungslos sein, als Blinder sieben Kinder in die Welt zu setzen, die er nicht ernähren kann?“ – Darauf der Schnorrer: „Ech sej den wus ech tie??!“ („Na sehe ich denn was ich tue??!“)