NU - Dajgezzn

Differenzieren und Integrieren

NU - Ausgabe Nr. 24 (2/2006)
Der Zweierkommentar von Erwin Javor und Peter Menasse

Menasse: Was sagst du dazu: Präsident Muzicant hat ein neues journalistisches Format erfunden. In der jüngsten „Gemeinde“ hat er sich über mehrere Seiten selber interviewt. Er hat sich sozusagen mit unbarmherzigen Fragen bombardiert.

Javor: Das mache ich schon lange. Jeden Tag in der Früh stehe ich auf und frage, weil sich ja sonst niemand um mich kümmert: „Erwin, wie geht es mir heute?“

Menasse: Und wie beantwortest du diese raffinierte Frage?

Javor: Wenn ich mich frage „Erwin, wie geht es mir heute?“, antworte ich, unterstützt von einer wegwerfenden Handbewegung „Frag mich bitte nicht.“ Viel spannender ist jedoch, was unser Präsident auf diese Frage im Selbstinterview geantwortet hätte.

Menasse: Er hätte gesagt: „Schlecht geht es mir. Ich trage auf meinen Schultern die Last der Verantwortung für sämtliche Juden in Österreich und anderswo, für meine Familie und die Ichmanngasse. Und man lässt mich nicht in Ruhe arbeiten. Die vielen Besserwisser matschkern und den Engelberg kann ich schon gar nicht leiden.“

Javor: Die Stärke, aber auch die Stress-Belastung von Muzicant ist ja sein Netzwerk. Er steht ständig im Mittelpunkt und unter Strom. Da fragt ihn Schüssel um Rat, dann konsultieren ihn Olmert und der Bundespräsident und gleich danach informiert sich George W. Bush über die Entwicklung der Immobilienpreise. Nicht zu reden von den Geheimgesprächen mit Putin und Tommy Feiger.

Menasse: Mach dich nicht lustig über den Präsidenten. Er hat es schwer genug. Und mit dem NU ist ihm noch eine Bürde erwachsen, die kaum zu tragen ist. Kein Wunder, wenn er sich dann selbst interviewt. Irgendwo muss er ja die Wahrheit veröffentlichen lassen.

Javor: Der Arme muss sich auch deswegen selbst interviewen, weil er nur von beinharten Jasagern umgeben ist. Fragt er diese Leute, wie sie die Arbeit des Präsidenten einschätzen, und ob er alles gut erledige, sagen die ohne zu zögern im Chor: „Ja, Herr Präsident.“ Und dabei gehörte das Lob doch viel ausführlicher formuliert. Muzicant ist ja nicht einfach irgendein Präsident, sondern das Fundament des gesamten jüdischen Hausbaus.

Menasse: Apropos Hausbau: Wo ist eigentlich diese Ichmanngasse?

Javor: Das fragen mich viele. Ich sage ihnen allen, kauft euch ein GPS-Navigationsgerät. Ohne das ist sie nicht zu finden. Es hat aber auch was Gutes, dass der Präsident die Juden jetzt in ein Reservat am Stadtrand übersiedelt. Er hat sie dort alle unter Kontrolle und die Leute aus dem Altersheim können sich nicht verirren.

Menasse: Wieso das?

Javor: Weil sie dort niemals aus dem Haus gehen werden, es gibt ja weit und breit weder Geschäfte noch Kaffeehäuser.

Menasse: Schrecklicher Gedanke. Ein Jud ohne Kaffeehaus. Das ist wie ein Präsident ohne Interviewer.

Javor: Keine Angst, wir beide verlassen unser Stammcafé nicht.

Menasse: Und der Engelberg bleibt uns auch erhalten, weil den lässt der Präsident sicher nicht in die Ichmanngasse. Hast du übrigens gelesen? Unser hoch verehrter, früherer Herr Innenminister war am Brunnenmarkt in Ottakring und hat feststellen müssen, dass dort siebzig bis achtzig Prozent der Verkäufer nicht Deutsch sprechen.

Javor: Wieso verehrst du den Strasser und noch dazu hoch?

Menasse: Wenn sie zurückgetreten sind, verehre ich sie alle.

Javor: Weißt du, deine Frage erinnert mich an einen alten Witz aus Polen. Anfang der 1980er Jahre gab es eine schreckliche Versorgungskrise im Land. Es fehlte an allem. Es gab keine Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel. Da geht also ein Mann in ein Geschäft und verlangt ein Kilo Wurst. Sagt der Verkäufer zu ihm: „Lieber Herr, keine Wurst gibt es nebenan beim Fleischhauer, wir sind ein Milchgeschäft. Bei uns gibt es keine Milch.“

Menasse: Und was hat das mit Strasser zu tun?

Javor: Na ja, nicht auf den Markt geht man zum Plaudern, dazu gibt es Kaffeehäuser. Was man am Markt macht, ist einkaufen. Und ich kriege am Brunnenmarkt wunderbares Obst und Gemüse von freundlichen, meist türkisch-stämmigen Verkäufern. Die reden vielleicht nicht viel Deutsch, aber rechnen können sie tadellos.

Menasse: Die jetzige Innenministerin hat gleich gesagt: „Wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen.“

Javor: Ja, viele Menschen haben ein Problem damit, das Integrieren differenziert zu sehen. Frau Prokop müsste uns jetzt halt noch sagen, was sie unter „sich integrieren“ versteht.

Menasse: Das wurde doch schon öfter gesagt: Falsch ist Hammelfleisch im Hinterhof, richtig hingegen Schweinsbraten im Kleingarten. Wie überhaupt das exzessive Essen von Schweinefleisch die Glaubwürdigkeit als echter Österreicher enorm erhöht.

Javor: Und was machen da die gläubigen Juden? Die essen doch kein Schweinefleisch, auch wenn manche, ganz besonders echte Österreicher, uns gerne als „Saujuden“ bezeichnen.

Menasse: Nix da. Zur Sederfeier gibt es Stelzen, die Kopftücher werden abgenommen, und alle singen die Bundeshymne. Schließlich dürfen wir das arme Stammvolk nicht mit allzu viel kultureller Vielfalt überfordern.

Javor: Wahrscheinlich hast du Recht. Wenn man die Herren Strache oder sein Alter Ego Westenthaler in der Zeitung sieht, trinken die immer Bier und essen Schweinernes. Ich wundere mich ja, dass die Winzer da nicht protestieren. Oder ist Wein kein Identität stiftendes Getränk?

Menasse: Den Weinbauern hat sicherlich geschadet, dass Gusenbauer sich auf ihre Seite geschlagen hat. Im Übrigen glaube ich, dass der sichtbare Beweis einer geglückten Integration am ehesten durch Mensurnarben im Gesicht nachgewiesen werden könnte. Da hätte nicht einmal Mölzer einen Einspruch dagegen.

Javor: Ich merke schon: Wir müssen noch viel üben, um den Anforderungen der Regierenden gewachsen zu sein. Herr Ober, noch eine Melange bitte. Auf den Türkischen werde ich heute lieber verzichten.